Veganismus ist Trend – erst recht in der Metropole Berlin. Doch was bedeutet ein veganes Leben, außer hip und modern zu sein? Welchen Vorurteilen ist die Ernährungsweise ausgesetzt? Und wie einfach umzusetzen ist sie tatsächlich? Lea Hanemann, 24 und vegane Bloggerin, klärt uns auf, wie es sich rein pflanzlich in der Hauptstadt lebt.
In der letzten Zeit folgt ein Lebensmittelskandal dem nächsten: Gammelfleisch, verdorbene Eier in Teigwaren, Mäusekot im Mozzarella, Biodeklaration ohne Erfüllung der entsprechenden Anforderungen. Dazu regelmäßig Fälle von mit Antibiotika, Unkrautvernichtungsmitteln, Dioxin oder Schimmelpilzen verseuchtem Nutztierfutter. Sich eingehender mit seiner Ernährung auseinander zu setzen, scheint heutzutage also unausweichlich zu sein.
Häufig sind von den Lebensmittelskandalen tierische Produkte betroffen. Dies hat sicherlich dazu beigetragen, dass sich der Veganismus immer größerer Beliebtheit erfreut. Der Vegetarierbund Deutschland ging im Oktober 2012 von rund 700.000 Veganern und Veganerinnen aus. Eine von ihnen ist Lea Hanemann.
Was ist Veganismus?
Die Ur-Berlinerin lebt seit ihrem 17. Lebensjahr vegan. Im Unterschied zu Vegetariern, verzichtet sie nicht nur auf Fleisch und Fisch, sondern auf alle Formen tierischer Lebensmittel, also auch auf Eier, Milchprodukte und Honig. Besonders letztgenanntes löst bei vielen Leuten Unverständnis aus. Klarer wird der Verzicht auf Honig, wenn man sich vor Augen führt, dass Veganismus keineswegs nur eine Ernährungsweise darstellt.
Hinter dem Konzept steht eine komplette Lebenseinstellung, die sich gegen die Ausbeutung und Quälerei von Tieren jeglicher Art richtet. Veganismus hat daher auch Einfluss auf viele andere Lebensbereiche. Natürlich ist das Maß, wie weit man seinen veganen Lebensstil ausdehnt, jedem selbst überlassen. Das sieht auch Lea so: „Veganismus heißt für mich so weit wie es geht auf tierische Produkte zu verzichten. Ihn mit einem zu hundert Prozent ethischen Leben gleichzusetzen, halte ich für unrealistisch.“
Motive für Veganismus
Tatsächlich hat die Entscheidung für ein veganes Leben nicht unbedingt (nur) moralische Gründe. So belegen diverse wissenschaftliche Studien, dass sich eine rein pflanzliche Ernährung positiv auf die physische und psychische Gesundheit auswirkt. Tierisches Protein gilt für viele Krankheiten, wie zum Beispiel Krebs, als förderlich. Eine vegane Ernährung dient diesen nicht nur als Prävention, sondern hilft auch bei bereits bestehender Krankheit, Beschwerden zu lindern und die Krankheit im Idealfall sogar ganz zu heilen.
Neben der Gesundheit jedes Einzelnen, könnte auch das Klima von einer weitreichenden veganen Ernährung profitieren: Knapp über die Hälfte der schädlichen CO2-Emissionen verdankt sich der Massentierhaltung, die damit schädlicher ist, als der gesamte weltweite Autoverkehr. Ohne sie könnte der Klimawandel nachhaltig gebremst werden. Auch der Welthunger wäre nicht länger ein Problem – aktuell leben eine Milliarde Menschen in Hungersnot. Mit den enormen Mengen an Soja und Getreide, die als Futter Einsatz in der Massentierhaltung finden, ließen sich fast 9 Milliarden Menschen ernähren.
Kampf den Vorurteilen
Trotz all dieser positiven Effekte, denken die meisten Leute bei veganer Ernährung in erster Linie an geschmacklichen Verzicht und Mangelerscheinungen. Lea kann weder das eine, noch das andere bestätigen. Die 24-Jährige Berlinerin liebt vegane Zimtschnecken und Cupcakes, ihr Leibgericht ist Avocado- und Shiitake-Sushi mit viel Ingwer. Das Gerücht, Veganer hätten es schwer, genügend Eiweiß zu sich zu nehmen, ist bei einer ausgewogenen pflanzlichen Ernährung völlig unbegründet. So sind neben Hülsenfrüchten auch Nori-Algen, mit denen man Sushi herstellt, wertvolle Proteinlieferanten.
Gleichzeitig wird Veganismus mit hohen Kosten in Verbindung gebracht. Lea hält diese Behauptung für einen Abwehrmechanismus: „Vegane Ernährung ist keine Frage des Geldes. Sie ist zu vielseitig, als dass man solche pauschalen Aussagen machen könnte. Wie eine vegetarische oder omnivore Diät, kann sie billig oder teuer sein. Leider scheinen sich die meisten veganen Kochbücher eher an den teureren Produkten zu orientieren.“ Zurzeit schreibt Lea an ihrem eigenen Kochbuch für günstige vegane Ernährung. Ihr Schwerpunkt liegt auf Zutaten, die man in jedem herkömmlichem Supermarkt oder Discounter bekommt. Dort kauft sie auch selbst meistens ein.
Veganes Schlaraffenland Berlin?
Daneben ist der vegane Supermarkt Dr. Pogo ein besonderer Luxus, den sie sich als Berlinerin ab und zu gönnt. „Ich kann es mir zwar nicht leisten, täglich dort einkaufen zu gehen, aber das Konzept halte ich für sehr unterstützenswert!“ Bei seinem Sortiment legt der Veganladen besonderen Wert auf Nachhaltigkeit und Produktionsbedingungen. Außer Lebensmitteln, bietet er pflanzliche Kosmetik und Haushaltsmittel, sowie diverses Informationsmaterial zu veganer Ernährung an.
Dr. Pogo gibt es seit Jahresbeginn 2013 und ist nur ein Beispiel dafür, dass die veganen Einkaufsmöglichkeiten in Berlin in der letzten Zeit stark zugenommen haben. Lange war man als Veganer essenstechnisch klarer Außenseiter, Lea kaufte vor allem in Bioläden und Reformhäusern ein. Die vegane Gastronomie konnte sie an einer Hand abzählen. Wenn ein Café oder ein Supermarkt Sojamilch im Angebot hatte, reagierte sie überrascht – heute ist das zur Normalität geworden.
In Berlin fehlt es definitiv nicht mehr an veganen Anlaufstellen. „Das vegane Angebot ist sehr vielfältig. Obwohl ich die eher esoterisch angehauchten Rohkost-Vollkornläden umgehe, habe ich noch immer die Auswahl zwischen verschiedenen veganen Restaurants, Cafés und Imbissen. Es gibt sogar mehrere vegane Supermärkte in Berlin.“ Umso enttäuschender ist es für Lea, wenn sie diesen Luxus einmal nicht hat. Trotzdem betrachtet sie Berlin nicht als veganes Paradies. Das Angebot habe sich zwar merklich gesteigert, trotzdem sei Veganismus vielen noch immer fremd.
Vegan in die Zukunft
Insgesamt scheint es derzeit überall in Deutschland einfacher zu werden, eine rein pflanzliche Ernährungs- bzw. Lebensweise durchzuhalten. In kleineren Städten bieten inzwischen viele Supermärkte und Discounter Grundzutaten wie Sojamilch oder Tofu an. Eine größere Auswahl haben Reformhaus, Bio- oder Asialaden. In Drogerien gibt es neben veganen Lebensmitteln, oftmals günstige Naturkosmetik. Wer ganz genau wissen will, welche veganen Einkaufsmöglichkeiten seine Umgebung bietet, hat die Möglichkeit sich bei Happy Cow zu erkundigen.
In Berlin als Hauptstadt ist das Angebot an entsprechenden Anlaufstellen natürlich besonders groß. Dass der Veganismus die heutige Zeit erreicht hat, zeigen vor allem persönliche Erlebnisse: So kam Lea an der Dönerbude unlängst ein freundliches „also vegan“ entgegen, als sie eine Falafel ohne Joghurtsauce bestellte. Ihr Geheimtipp, um in Berlin einmal vegan essen zu gehen, ist übrigens die Pizzeria sfizyveg mit über 200 Sorten und alle komplett tiereiweißfrei. Veganismus heißt manchmal eben auch Fastfood – wer denkt da noch an Mangelernährung und Verzicht?
> Guide über die vegane Szene in Berlin
> Artikel „Warum es in Berlin immer mehr Veganer gibt“ der Morgenpost